AUS1002ART
   


KOMPOSITIONEN

Michael Goleminov
VOX
Für vier Saxophone, zwei Stimmen, E-Bass und Elektronik

Der Titel ist assoziativen Ursprungs und hat viel weniger mit der Kompositionsproblematik und Struktur des Werkes zu tun, als mit den für mich sehr wichtigen und kreativen Berührungspunkten beider Klangfarben (Saxophon und Stimme). Da meine ersten Auseinandersetzungen mit der österreichischen (insbesondere wienerischen) Volkskultur auf der Sprachebene erfolgten, habe ich mich bei der Arbeit an diesem Projekt auf Dialektgedichte konzentriert. Das musikalische Material hat seine stilistischen Wurzeln eher in der internationalen U- Musik der letzten Jahrzehnte. Kompositionstechnisch versuche ich eine klare, eindeutige, auf minimalistischer Effektivität basierende Musiksprache zu verwenden, wobei theatralische Elemente und Elektroakustik (als unentbehrliche Ergänzung der natürlichen) eine wesentliche Rolle spielen

Friedrich Keil (*1957)
LAUTAUFLAUF
Ein ad libitum Jodel-Rap
Für vier Saxophone und zwei Komplementärstimen (1996)


Die zungenbrecherische Silbenakrobatik der Gesangsstimme ist ein wichtiger Bestandteil des kompositorischen Konzeptes:
Die – phonetischen diversen alpinen Dialekten nicht unverwandte – Sprache wird durch den Einsatz minimalistischer und modifizierter serieller Verfahrensweisen gebrochen und somit verfremdet. (der Text wurde also von mir nicht als Lyrik, sondern als Komposition verfertigt).
Die Interpreten – insbesondere die Stimmenschleuderer – befinden sich in permanenter Spannung zwischen äußerster Subtilität und brachialster Deftigkeit. Nichtsdestotrotz endet das Stück der wehmütig und vorsichtig: Die – aus der Konstruktion heraus entstandenen – Wort- und Silbengebilde reduzieren sich allmählich zu jenen Vokalen, die beim Absingen von langsamen bedächtigen Jodlern häufig Verwendung finden.

Textauszug:

HOITS HOIZ HOITS’N HOBEL HOIT HEUT; HOITS’N HEUT NO HOITS HOIT HEUT’N HOBEL SCHNEUZ DI NUR; WONNS HEUT SCHNEIT: SCHNEITS HEUT; HOITS HOIT HEUT HOIZ: SCHNEUZ DI NET IN HOBEL; SCHNEUZ DI NET:::::::

Mayako Kubo (*1947)
VOLKSLIEDVERZERRUNG
Für Saxophonquartett (1999)
Nach dem burgenländischen Totenlied „Heute bin ich rot“

Das Volkslied „Heute bin ich rot“ ist ein Totenlied aus dem Burgenland. In einfachen Melodien und Rhythmen wird die Entschlossenheit eines zum Tod bereiten jüngeren Menschen dargestellt: Die Heiterkeit dieses Liedes hat mich richtig verblüfft.
„Heute bin ich rot, morgen bin ich tot, und heute sind noch meine Wangen rot“ lautet der Text. Bestimmt singen auch Kinder – wenn sie überhaupt singen- dieses Lied, ohne tiefer darüber nachzudenken, was für einen Hintergrund es hat.
Volkslieder spiegeln in besonderem Maße die Bräuche und Eigentümlichkeiten der jeweiligen sozialen Schichten wider. Die Menschen festigen durch das Singen solcher Lieder ihren Status in der Gesellschaft, wobei Freud und Leid wichtige Elemente waren, die sowohl bei den ärmeren als auch bei den wohlhaberen Schichten vorkamen. Während die Reichen Leiden und Freuden in den höheren Künsten der Musik erklingen ließen, hatten die Ärmeren ihre Volkslieder. Sie dienten als ein Milderungsmittel, um ihr Schicksal einigermaßen erträglich zu machen. Heutzutage singen wir nicht mehr Volkslieder, sondern Fußballhymnen oder jodeln in Bierstuben, um das Leben zu genießen und uns in unserer Gesellschaft zurechtzufinden. Sowohl unsere Individuellen als auch unsere kollektiven Gefühle werden bei Sportveranstaltungen – und in zweiter Linie erst bei Theater – und Konzertbesuchen – zum Ausdruck gebracht. Die Menschenmenge im Fußballstadion bewegt sich wie riesige Meereswogen. Ihre Stimmen werden heiser, und sie sind hypnotisiert. – Fußballhymnen sind die globalisierten Volkslider von heute.

Arne Marsel (*1963)
X-FACHER AUF DER JODELMASCHINE
Für zwei Stimmen, Ewi, Bassklarinette, Altsaxophon, Klarinette und asiatische Mundorgel


Ausgangsbasis für meine Komposition waren Jodler bzw. Juchzer in ihrer ursprünglichen Verwendungsart, nämlich als Kommunikationsmittel. Rufe, Melodien, die mittels Echo von Berg zu Berg, über ganze Landschaftszüge getragen werden.

Hier war für mich der Umgang mir dem Echo in seinen verschiedensten Varianten (Überlagerung, Verzögerung, Verkürzung, Absorbierung ect.) von besonderer Bedeutung. Die Wahl der Instrumentierung (einerseits die sehr traditionelle Klarinette und andererseits, die aus dem asiatischen Raum stammende Mundorgel) beruht auf die Auseinandersetzung mit dem Begriff „Heimat“ bzw. „Ferne“. Beide Begriffe existieren gleichzeitig, doch wo beginnt die Ferne, wo hört die Heimat auf? – Im nächsten Ort, im Nachbarland oder auf einem anderen Kontinent?

Hannes Raffaseder (*1970)
NETTA NIA
Für Sopran und Saxophonquartett (1998)

KINDA KRIAGN
Für Sopran, Midi-Saxophon und Saxophontrio (1999)

Die beiden Werke „netta nia“ und „kinda kriagn“ sind Vertonungen zweier Gedichte der in St. Wolfgang lebenden Mundartdichterin Renate Pöllmann.

Bei diesen beiden Kompositionen wollte ich mich bewusst treiben lassen, vom Text, seinen Rhythmen, seinem Witz und der faszinierenden Phonetik des Dialekts. Ich versuchte zu komponieren „wie mir der Schnabel gewachsen ist“ und einfach Spaß daran zu haben, aber dennoch eine Brücke zwischen zeitgenössischer Musik und traditioneller Volkskultur zu schlagen.

Renate Pöllmann
Heirat’ netta nia an Jaga!

Heirat’ netta nia an Jaga
Hat ihr d’Muatta friahra gsagt,
weil der kunt grad seine Gwehra
durin Wald ins Wirtshaus tragt!

Herat’ netta nia an Reichn,
nimm dar ja koan geldign Mann,
will sih der, so ganz nehm deina
allerhand nuh leist kann!

Heirat’ netta nia an Lehra,
a Gstudierta kennt koan Gspoaß!
Nebm den bist grad du de Blede,
weil der alls vü bessa woaß!

Heirat’ netta nia an Bauan,
ah koan Amtmann und koan Hirt,
koan, der fernfahrt und koan Künstler
und um Gotteswilln koan Wirt!

Schau, dass d’netta unta d’Haubm kimmst!
Sagt ihr d’Muatta hiaz all Tag,
aba wannat am 70er zugehst,
da wird Suacha scho a Plag!

Renate Pöllmann
, S „Allround – Talent“


Sockn stpfn, Strudl ziagn,
Hemdn bögön, Kinda kriagn,

Fensta putzn, Bier hoamzarn,
Bleamö giaßn, Scherm auslarn,

Hasn fuattern, Schuach pollearn,
Tortn bacha, Keks vaziern,

Hintern wischn, haar abschneidn,
Kuchö weißign, neamd was neidn,

Wäsch aufhänga, Spreißl kliabm,
Schnaps ansetzn, Kastn schiahm,

Liadln singa, Baucherl reihm,
Gschirr abwaschn, Gspenst vatreihm,

Fisch ausnehma, Rasn mahn,
Kinda trestn, Knopf annahn,

Hundshaar zsamkehrn, Auto fahrn,
Teppich klopfm, Geld dasparn…

Wannst des kannst und nuh vü mehr,
moanat ma, ast bist halt wer!

Doh so a „Allround-Talent“
Wird bo ins grad “Hausfrau” gnennt!

Konrad Rennert (*1958)
Grußlos durch die Alpen
Für zwei Stimmen und Saxophonquartett (1998/99)


Sechs Stimmen – solipsistische Regungen, Phasen der Annäherung, Anerkennung, und dennoch: Fremd, gleichsam unbekannt, bewegen sich die Strata in-, über-, zueinander; sie kollidieren, sie expandieren, sie implodieren. „Gebrochene Einstimmigkeit“, aufgefächert, verschoben, verleugnet, doch prinzipiell idente Wege. Unterschiedliche Intensitäten von Alleingang, Interaktion und Abhängigkeit. In liegenden, schwingenden, fast unhörbaren Tönen die Singstimmen als gleichsam unausgesprochene Gedanken der Instrumentalisten. Die einzig korrekte Passage bleibt ohne Respons. Grußlos begegnet man sich, grußlos verlässt man einander. Ab einer gewissen Höhe erfahren nicht nur Bäume eine Grenze.

Christian Schedelmayer (*1959)
Live Times 94
Ghiberden
Für zwei Stimmen, Saxophonquartett, Midi-Saxophon und Elektronik


Viel zu viele. Noch immer viel zu viele komponierte Noten. Nicht komponierte Strukturen aber scheinen gegenwärtig nicht zufrieden stellend aufführbar, nicht bezahlbar zu sein. Also diese Lösung: Brüche, Bruchstücke, exemplarische Konfrontationen statt Komponiertem. Klänge, die nicht Leben wollen.
„Cet horreur, que L’existence“ (der steinalte IONESCO).
Live Times auf dem Weg zu puren Bewegungen. Zwei, drei, mehrere Bewegungen zugleich, jede nur in „ihrer Zeit“…. Ein Traum.

     
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